Hans Heiner Buhr Maler Lehrer Abenteurer
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Kupkari, Buzkashi
Im Herzen der Steppe
Wir fahren durch den schneidenden Nordwestwind vom Aralsee. Am ersten Dezember
durch die braune Steppe in Richtung Karschi. Links die mit Neuschnee bedeckten
Höhenzüge des Pamirs, rechts eine leergefegte unendlich scheinende
Ebene.
"Tatsächlich, ein Meer !" Strommasten ziehen in Reih und Glied, wie
die Masten schwer beladener Koggen in die Tiefe.
"Auf zum Küp'kari, auf zum Buz'kashi !" drehen sich meine Gedanken. Werden
wir endlich einmal dabei sein, an den vagen Ort zur unbekannten Zeit gelangen?
Küp'Kari ist der traditionelle mittelasiatische Wettkampf zwischen
Männern und ihren Tieren. Ein Wettkampf zwischen Menschen und Pferden.
So alt wie die vergessenen Kulturen der asiatischen Steppe.
Der Nexia jagt auf der einsamen Schnellstrasse südwestlich von Samarkand
Richtung in die usbekische Provinz Kaschkardarjo.Der Fahrer Farhod deutet
auf einen Kischlak, geduckte Lehmhütten, Ziehbrunnen, Karakulschafe,
Esel und Kinder.
"Hier leben die Araber." "Nachfolger der arabischen Invasion vor 1300 Jahren
?" darauf meine ungeduldige Frage. Dem Fahrer reicht ein Schulterzucken, es ist
ihm wohl egal aus welcher Zeit ?
"Die Zeiten kommen und gehen und unsere Zeit geht auch wieder vorbei.", damit
ist das Thema für Farhod erledigt.
Küp'Kari ist ein martialischer Reiterwettkampf von zehn bis zweihundert
Asiaten auf ihren Pferden um den Balg einer Ziege.
Das heiß umkämpfte Spielobjekt- der Rumpf eines frischgetöteten
Ziegenbocks, bäuchlings aufgeschnitten, schaufelweise mit feuchtem Salz
gefüllt und mit grober Schnur fest zugenäht.
So ein zottliger Sack mit seinen grotesken Beinstümpfen bringt es dann
auf dreißig bis vierzig Kilo und hat damit eine optimales Schwere.
An einem Spieltag von elf bis zur Abenddämmerung werden gewöhnlich
4-5 Bälge während der Kampfrunden zerschlissen.
Ebenso beliebt wie ein Küp'kari sind Hahnenkämpfe, Wachtelkämpfe
und Hundekämpfe bei den usbekischen Männern.
Aber die Königsklasse, das ist Küp'Kari.
Bis zur Regionshauptstadt Karschi sind es knapp 200 Kilometer. Um zehn sind
wir da. Es ist Sonntag und großer Basar. Alle Straßen sind verstopft.
Wir bewundern die prachtvollen fangfrischen Zander, die hier mitten in der
Steppe verkauft werden. Ihre Augen schimmern trüb, scheinbar blind,
und so müssen die Augen der Zander sein, die ich früher als Junge
oft in der Spree und der Havel rund um Berlin fing.
Man kann handliche Filetstücke auch gebraten direkt neben den frischen
Fischen kosten: Kross gebackene Haut, festes weißes aromatisches Fleisch
und kaum Gräten. Das Kilo Zander kostet hier teure zwei Dollar.
Auf den kniehohen Stelltischen sieht man weit und breit nur den billigsten Tand in allerschlechtester Qualität; aus China, dem Iran und der Türkei. So sehen alle Basare von der Mongolei bis zum Kaukasus aus- ein beinahe einheitliches preiskillendes Sortiment für den Alltagsbedarf aus China. Die gnadenlosen Nike-Trainingshosen, die Plastikeimer, die Gummigaloschen mit den aufgedruckten Schnürsenkeln, grell bunte rot-blau-grün-gelb ornamentierte Samtstoffe aus Polyester, Schlüsselanhänger, Wegwerffeuerzeuge, geschmuggelte Zigaretten, Kindersocken und Blechöfen. Meine Suche nach einem der typischen asiatischen Reitsättel aus Holz ist vergebens.
Plötzlich. Ich bin gebannt. Der erste Reiter auf einem prachtvollen Rotfuchs lenkt seinen Hengst sicher auf der belebten Hauptstraße durch zwei Marschrutkas hindurch. Seine asiatischen Augen schauen über den Verkehr hinweg in die Ferne. Er sitzt wie ein breiter Götze auf dem Pferd, archaisch, ein Skythe, ein Hunne, ein echter Tamerlan. Wie nicht von dieser Welt, ein Vakuum, ein ruhig kreisendes schwarzes Loch am Rande des quirlenden Marktes.
Das Pferd ist groß, ein Kraftpaket, glänzend und bestens im Futter-
es erinnert mich irgendwie an einen Panzer. Riesige schwarze Hufe tragen
seinen ausgreifenden Schritt.
Ein abgeschabt verblichener, rötlicher Überwurf mit Stickereien reicht
ihm bis zu den Gelenken. Unter dem verschwitzten Winterfell spielen gewaltige
Halsmuskeln. Aus den Nüstern stößt in rhytmischen Abständen
Dampf. Die Ohren sind spitz und sehr klein. Einige Augenblicke nur und der
Reiter verschwindet hinter einem blau-weiß gestreiften Bus im Gedränge.
Auf, auf zum Auto. Hinterher ! Türen zu, Motor an und los. Wir kennen die Richtung.
Bald zieht der Wagen aus der Ortsgrenze hinaus, auf der schnurgeraden Straße
flankiert von eisernen Telefonmasten
in die Ödnis. Ich stelle mir vor, wie das Internet von Shanghai nach London
durch diese Leitungen seine Daten summt. Jemand bietet in Sidney auf eine Ikone,
ein Banker wird per E-mail gekündigt und vieles andere ist Spam.
Wir passieren einzelne Reiter, alle paar Kilometer auf Apfelschimmeln, Rappen,
Braunen, Füchsen und Schecken.
Viele tragen schwarze Panzerhauben oder Filzkappen unter dem Kinn fest zusammen
gebunden. Leibhaftige Geister der mongolisch-tatarischen Horden. Wir sehen
zwei Lastautos, von deren Ladefläche uns Pferde ruckelnd anschauen. Sie
biegen von der Hauptstrasse in einen Sandweg nach Norden ab. Nun sehen wir
auch örtliche Steppenbewohner in abgetragenen Lumpen, Gummistiefeln und
ulkig wirkenden teuren Fellmützen. Etliche Jungs klopfen mit Haselstöcken
wie Drummer auf die Hälse ihrer trabenden Eselchen. Wir folgen der auseinandergezogenen
Kolonne.
Dann stossen wir hinter einer Senke auf Kamaz- Lastwagen mit Planen im Halbrund aufgestellt. Ein großer Kreis von Schaulustigen steht leise schwätzend und begutachtet das Abladen der Pferde. Alle sind mit dicken gesteppten Matten aus Filz und Teppichen fest umgürtet. Auch die Hufe wurden mit Teppichfetzen umwickelt. Nur die Köpfe und die Läufe schauen aus diesen Paketen heraus. Das Herausführen der Tiere über natürliche Rampen aus Sand und das Aufsatteln der Pferde übernehmen spezielle Pferdebetreuer.
Aus den Fahrerkabinen steigen mit Würde die Reiter.
Sie schmieren ihre Oberkörper mit Fett ein, bandagieren sich mit festen
Streifen Segeltuch die Schienenbeine. Manche tragen geheimnisvolle Amulette
und Säckchen um den Hals: Wolfszähne, Geierkrallen, eine Locke der
Frau ? Darüber ziehen sie ärmellose Westtover aus gelblicher Wolle,
zerfetzte Wattekombinatinen und oberschenkelhohe Stulpenstiefel mit riesigen
konischen Absätzen.
In diesen Stiefeln können die Männer kaum laufen, aber uns ist
sofort klar, dass echte Asiaten von Rang selten zu Fuß laufen. Der
klobige Absatz- eine Lebensversicherung gegen das Durchrutschen im Steigbügel.
Keiner der Männer raucht, aber alle spucken regelmäßig eine
Ladung grünlicher Soße zielsicher in den Sand.
Die Reiter lassen ihre Pferde langsam warmlaufen; jeder für sich, ein
paar hundert Meter am Rande der Steppe.
Die Pferde werden beschwört und die guten Geister.
Ein Junge reitet auf einem Trampeltier vorüber.
Das gemeine Volk schiebt Traktoranhänger zu einer halbrunden Tribüne
für die Ehrengäste zusammen. Fünf Anhänger und wenige
Holzbänke und schon beginnen sich oben Trauben von Menschen um die besten
Plätze zu schieben. Sie kauen Sonnenblumenkerne, die sie einzeln aus
ihren Manteltaschen zu Tage fördern.
Unaufhaltbar wird der Staub zu unseren Füßen von den weggeschippsten
Schalen berieselt. Der erste Wodka geht herum, die fahle Wintersonne im Zenit.
Das Spielfeld ist die Weite.
Die Menge strömt zum breitesten Anhänger, wo die Ausrichter des Wettkampfes auf schlichten Thronen sitzen. Die glücklichen Väter eines frisch vermählten Paares setzen ein gutes Vermögen für das Ansehen und das Lebensglück der Ihren ein: fünfundzwanzig Ziegen, vier junge Kühe, vier junge Bullen, ein junges Kamel. Bargeld.
Ehrenwerte Schiedsrichter mit russischen Megafonen und weißen Fahnen bewehrt, lassen sich von ihren Söhnen auf die großen Pferde hieven. Der dickste steigt über einen aufgeplatzten Polstersessel auf sein Ross.
Die Hengste, gemästete Karabaier, sind nervös. Sie wiehern, stampfen, kantern, äugen dominant. Ein Reiter gibt die Zügel unmerklich nach, da setzt sich das Tier wie ein Geschoss in Bewegung. Die Menge stiebt. Auf Fußvolk nimmt kein echter Spieler Rücksicht. Aufpassen müssen dann eben die Pferde, und die tun das sehr geschickt. Zwei große Männer stehen im Weg und werden gnadenlos niedergeritten, uns stockt der Atem für Sekunden, doch die schütteln sich den Staub ab und stehen selbst, über ihr Glück verwundert ohne einen Kratzer wieder auf.
Ein Bursche schleppt einen Ziegenrumpf an einer Trosse eine Viertelmeile in die Ebene hinein.
Nach langem Palaver zwischen Richtern und Reitern, nach unverständlichen Losereien, endlich stößt ein Mann in sein krachendes Megafon: "KÜP, KÜP, KARI !"- ein wildes Geheul bricht aus. Wir sind dabei !
Drei Dutzend Pferde werden mit Peitschen und Fausthieben gnadenlos gegen
den Anhänger getrieben. Die Reiter stossen die Fäuste in die Gesichter
ihrer Nebenmänner. Mit Brust und Vorderbeinen stemmen sich die Gäule
an der Brüstung hoch, es scheint fast sie beißen in die Armierungseisen
hinein. Ein Bündel Scheine wedelt, ein Zeichen. Die Meute wendet und
jagt los. Vom Staub geblendet rennen die Zuschauer dem Gefechtslärm
ziellos hinterher.
Ein junger Usbeke auf seiner gelben mongolischen Mähre beugt sich weit hinunter und zerrt den Hinterlauf des Bock als erster unter seinen rechten Oberschenkel. Die Peitsche zwischen die Kiefer geklemmt. Hiebe prasseln von oben auf seinen Rücken und sein keilendes Pferd. Die Profis arbeiten in Teams zusammen, schaffen mit ihren Pferden Luft für einen Ausbruch. Ihm gelingt er, schon sucht er sich als Sieger in gestrecktem Galopp in Richtung Tribüne abzusetzen, da schneidet ihm ein Riese auf seinem Bullen von Pferd den Weg ab und rammt ihn in vollem Gallopp in die Seite. Die Pferde schreien und straucheln, die Männer balancieren.
Es rutscht der schwer baumelnde Karkass aus der schwitzenden Hand, der Kampf
scheint verloren. Die Schiedsrichter eilen herbei, mit Fähnchen winkend,
unerwartet schnell. Vorbei. Der junge Usbeke ist als Sieger der ersten Runde
ausgerufen. Strahlend von der johlenden Menge empfangen, wird er herbeigewinkt,
verschämt, aber lächelnd schiebt er den Zaster unter sein Gewand.
Endlose Viertelstunden bis zur Dämmerung. Die Zeit steht für uns
still.
Ein Mahlstrom dichter Wolken wirbelnden Staubes und in der Tiefe ein klar leuchtender
Horizont.
Hans Heiner Buhr, Samarkand, Usbekistan
28.03.2004
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